Wir haben keine Liebe mehr: Der Zusammenbruch beginnt



Eva Herman

Gerade komme ich vom Tanken. Vor der Kasse eine lange Schlange. Brüllend laut das Radio: NDR 2. Der Sprecher mit Alarm in der Stimme: Deutschland habe zu wenige Krippenplätze. Die Länder kämen beim Kita-Ausbau nicht schnell genug voran, verkündet er hektisch. Dann wird Bundesfamilienministerin Schröder zitiert: »Die Länder selbst hätten sich 2007 gemeinsam mit der Regierung das Ziel gesteckt, bis zum Jahr 2013 für 750.000 Kinder unter drei Jahren einen Betreuungsplatz bereitzustellen. Das Bundesgeld sei da und die Zeit dränge.« In diesem Moment weiß ich: Jetzt sind sie alle verrückt geworden. Denn sie glauben, was sie sagen.

Sie glauben, es sei gut, Kleinstkinder aus ihrem Zuhause zu reißen und in überfüllte Krippen zu stecken. Sie glauben, sie täten den Kleinen etwas Besonderes, während sie in Wahrheit deren Herzen verwunden. Sie glauben offenbar auch, alle Mütter und alle Väter wünschten sich das. Ignorierend, dass die meisten es aus Geldnot, aus Verzweiflung tun müssen: Ihre Kinder weggeben.
Und weiter glauben die da oben in der Hauptstadt, sie hätten auch das Recht, diesen Kollateralschaden anzurichten. Durch Geldentzug und politischen Druck. Und die Medien? Ach, die Medien, ihre Vertreter haben doch selbst längst jeglichen Glauben verloren. In vorauseilendem Gehorsam kriechen sie vor jedem neuen politischen Plan her und ebnen mit ihrem bleichen Geist devot den Weg für neue Grausamkeiten.
Gestern war ich beim Geburtstag einer Freundin. Zu Gast war auch eine Gymnasiallehrerin. Sie hat gerade ihren ersten Burn-out hinter sich, obwohl sie noch nicht vierzig Jahre alt ist. Ihre Hände zittern schon wieder: Die Nervosität beginnt erneut. Sie kommt nicht gegen die Kinder an. Sie sind zu laut, zu undiszipliniert, rücksichtslos. Die Eltern schimpfen auf die Lehrer, schließlich hätten diese einen Erziehungsauftrag. Sie selbst müssten ja arbeiten. Da wird man sich doch wohl auf die staatlichen Erziehungsinstitutionen verlassen können! Und ihr eigener Erziehungsauftrag? Schulterzucken: Keine Zeit. Und: Dafür gibt es ja Lehrer und Schulen. Unsere Kinder funktionieren nicht mehr. Zu wenig Liebe, schon in frühstem Stadium, später ebenso.
Vorgestern sagten sie im Fernsehen: 30.000 Ausbildungsplätze bleiben in Deutschland unbesetzt. Die Jugendlichen seien unterqualifiziert. Es fehle an den untersten Benimm- und Wissensregeln. Soziales Verhalten? Fehlanzeige. Rechnen, Schreiben, Lesen? Sechs. Setzen! Oder rausgehen. Sie werden Ausgestoßene sein, die vielen jungen Menschen, denen niemand je bei den Hausaufgaben half, denen niemand Regeln beibrachte, Verantwortung und Respekt. Weil sie die meiste Zeit ihrer Kindheit einsam waren. Diese Gesellschafts-Aliens können nicht einmal etwas dafür.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Wer keine Liebe lernt, wird sie nicht geben können. Wer keine Aufmerksamkeit erhält, hat sie später auch nicht für andere. Wer rücksichtslos hin- und hergestoßen wurde, wird rücksichtslos gegen andere werden. Wem nie in seiner Seelennot geholfen wurde, der wird auch anderen Menschen nicht helfen. Seine Seele bleibt kalt. Seine Empathie versiegt. Seine Liebe stirbt.
Gibt es noch eine Umkehr? Sind wir noch zu retten? Wohl kaum. Denn sie werden weiter glauben, es sei richtig, was sie tun, die da oben. Sie haben keine Fragen, keine Zweifel. Sie werden weitermachen bis zum Zusammenbruch. Wer jahrelang kämpfte, kommt gegen diese Dummheit nicht mehr an. Er wartet. Auf das Riesenchaos. Es wird kommen. Unsere Kinder werden diesen Kampf verlieren.

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